Seiteninhalt
Domplatz 10
Die Ausgrabung vor dem Neubau des Landesmuseums
Die Planungen für den Neubau des Landesmuseums 2008-2009 auf der Parzelle Domplatz 10 sahen eine Bebauung auch der nördlichen Ecke zwischen Domplatz und Pferdegasse vor, wo sich heute die markante Spitze des Gebäudes befindet.
Die fast 300 Quadratmeter umfassende Ausgrabungsfläche lag auf einer ehemals langgestreckten schmalen Parzelle in der südwestlichen Ecke des Domplatzes, die mit ihrer Schmalseite an den Domplatz und der längeren Seite an die Pferdegasse grenzte. Auf dem Stadtplan des Everard Alerdinck von 1636 sind mehrere Gebäude auf dieser Parzelle zu sehen, die zu einer Kurie, dem Wohnhaus eines Domherrn, zu gehören scheinen. Das Haupthaus, ein rechteckiger Bau, nimmt mit seiner langen Seite nahezu die gesamte Breite der Parzelle ein und ist mit seinem Vordergiebel zur Pferdegasse hin ausgerichtet.
Zeitreise von der römischen Kaiserzeit bis in das hohe Mittelalter
Bei der Ausgrabung im Jahr 2008 konnte ein erfreulich breites Spektrum an Befunden freigelegt werden, deren Datierung die Zeitspanne von rund 2000 Jahren umfasste. Schon während der römischen Kaiserzeit hatten hier vom 1. bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. Menschen gelebt. Ihre Spuren fanden sich in Form von zahlreichen Gefäßbruchstücken und Bodenverfärbungen.
Wie in den übrigen Bereichen der ehemaligen Domburg standen auch hier während des frühen und hohen Mittelalters, vom 9. bis in das 12. Jahrhundert hinein Grubenhäuser, die vermutlich als Webhütten genutzt wurden. Ihr Boden war bis zu einem Meter in die Erde eingetieft, um eine gleichmäßige Luftfeuchtigkeit während des Webens von Woll- und Leinenstoffen zu gewährleisten. Insgesamt konnten sechs Grubenhäuser nachgewiesen werden. Besondere Fundstücke daraus waren zwei bronzene Gewandspangen in der Form sogenannter Scheibenfibeln, die auf ihrer Vorderseite mit einer Tierdarstellung und einer Heiligendarstellung mit farbiger Emaille verziert waren. Sie stammen aus der Zeit des 9. und 11. Jahrhunderts und wurden vielleicht von den Weberinnen verloren.
Ein hochmittelalterlicher Steinbau
Auf dieser Parzelle legten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtarchäologie die Reste eines hochmittelalterlichen Hauses frei. Von dem massiven Steinbau, der zu Beginn des 12. Jahrhunderts an die Stelle der Grubenhäuser trat, waren die Mauern eines Kellers teilweise noch erhalten. Es wies mit seiner Giebelseite zum Domplatz und besaß im Hinterhof einen kleinen Anbau, der die Toilette beherbergte. Unklar ist allerdings, ob es sich bei dem Gebäude anfangs um das Wohnhaus eines Bürgers handelte, oder ob man es bereits als Kurie eines Domherrn ansprechen sollte: Nach zwei verheerenden Brandkatastrophen im 12. Jahrhundert verließen die Handwerker, Händler und Bauern die Domburg und siedelten sich nun außerhalb entlang der alten Handelswege an. Nur noch der Bischof, die vorwiegend adeligen Domherren, die Dompriester und die Angestellten der Geistlichen bewohnten jetzt die Domburg.
Wohnen am Domplatz in der Frühen Neuzeit
Bis in das ausgehende 16. Jahrhundert wurde das hochmittelalterliche Steinhaus genutzt und dann durch einen Neubau ersetzt. Die Funde aus dem Abbruchschutt datieren vom späten Mittelalter bis in das 16. Jahrhundert und erzählen von der gehobenen Ausstattung des Hauses, wie etwa Bodenfliesen und glasierte Blattkacheln eines Ofens. Es fand sich auch ein Siegel aus Buntmetall, das anhand des abgebildeten Wappens Eigentum eines Domherrn aus der Familie Schenking gewesen sein muss, der das Amt des Domthesaurars innehatte. Es lässt sich in die Zeit um 1505 datieren.
Nach 1587 wurde hier erneut gebaut, und es entstand ein Gebäude, dessen Front nun zur Pferdegasse hin ausgerichtet war, wie es die Stadtansicht Everard Alerdincks aus dem Jahr 1636 zeigt. Dieses als „Kniepe“ bezeichnete Haus wurde jedoch nach gerade einmal 60 bis 70 Jahren als verfallen bezeichnet und – auf den stehen gebliebenen Fundamenten - durch die Galensche Kurie ersetzt.
Die barocke Galensche Kurie
In den Jahren zwischen 1664 und 1668 ließ Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen anstelle des älteren Haupthauses die sogenannte Galensche Kurie errichten. In ihr sollten die Inhaber der neuen Domherrenstelle (Präbende) wohnen, die er zuvor für die Mitglieder seiner Familie gestiftet hatte. Das Gebäude wurde ab 1926 vom benachbarten Landesmuseum genutzt, seine Kellerräume dienten als zusätzliches Magazin. Bis zu seiner Zerstörung im Oktober 1943 war der frühbarocke Bau Bestandteil des historischen Gebäudeensembles des Domplatzes.
Ein unerwarteter Fund
Bei der Zerstörung des Gebäudes wurden die Kellerräume verschüttet und offensichtlich beim Abbruch der Kurie im Jahr 1955 nicht geräumt, so dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtarchäologie während der Ausgrabung noch auf die Reste des ehemaligen Magazinbestands stießen. Aus einem der Kellerräume der Galenschen Kurie kamen erstaunliche Funde zutage: Dort fanden sich bei der Ausgrabung 56 Gipsabgüsse der romanischen Figurenfriese aus dem Paradies des Doms. Wie aus alten Unterlagen ermittelt werden konnte, entstanden die Abgüsse im Jahr 1902 anlässlich einer Industrie- und Gewerbe-Ausstellung in Düsseldorf. Sie sind auch insofern interessant, als dass sie einen älteren, noch von der Kriegszerstörung unbeeinflussten Zustand wiedergeben.
Literatur
Geisberg, Max (1933): Die Stadt Münster II: Die Dom-Immunität. Die Marktanlage. Das Rathaus. Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Bd. 41/II, Münster 1933; fotomechanischer Nachdruck Münster 1976
Pohlmann, Alfred (2010): Gipsabformungen des Skulpturenschmucks aus dem Domparadies in Münster. In: Fundgeschichten. Archäologie in Nordrhein-Westfalen. Hg. v. Th. Otten, H. Hellenkemper, J. Kunow und M. M. Rind. Mainz 2010, S. 545
Thier, Bernd (2021): Der Siegelstempel eines Thesaurars am Hohen Dom in Münster. In: Archäologie in Westfalen-Lippe 2020, Langenweißbach 2021 (in Druckvorbereitung)