Seiteninhalt
Windhorststraße 66
Ausgrabungen am Hanse-Carré
Wer heute durch Münsters Flaniermeile „Hanse-Carré“ bummelt, freut sich vielleicht über schicke Boutiquen, kleine Cafés und die großzügige Platzgestaltung. Es ist kaum noch vorstellbar, dass dieser Bereich einmal dicht besiedelt und seit dem Mittelalter von Klöstern, Handwerksbetrieben, kleinen Häusern und vereinzelten Adelshöfen geprägt war. Vor der Neugestaltung des Areals mit Wohn- und Geschäftshäusern konnten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtarchäologie in den Jahren 2006 und 2007 einzelne Bereiche untersuchen.
Die Ausgrabungen erwiesen sich als schwierig: Bedingt durch die forstschreitenden Bauarbeiten stand für die Grabungsfläche im Süden nur wenig Zeit im Herbst und Winter des Jahres 2006 zur Verfügung. Zudem lagen hier historische Schichten in einer Mächtigkeit von bis zu 3 Metern und darüber hinaus vor, deren Zuweisung und Interpretation eine große Herausforderung für die Archäologinnen und Archäologen darstellte. Dennoch wurden wichtige Ergebnisse erzielt, die hier nur angedeutet werden können, da die wissenschaftliche Auswertung der Ausgrabung noch nicht abgeschlossen ist.
Zwei Grundstücke mit viel Geschichte
Aus Schriftquellen und historischen Plänen war bekannt, dass die Ausgrabungen Teile zweier Grundstücke erfassen würde. Auf der nördlichen Parzelle befand sich bis in die 1940er Jahre ein Adelshof, der sogenannte „Heesener Hof“, der 1724 von der Familie von der Recke zu Heesen erbaut worden war. Seit 1624 besaß die Familie das Anwesen, das sich davor in der Hand adeliger oder erbmännischer Familien befunden hatte. Mit diesem Hof war auch der Name der Erbmännerfamilie „Emesbrock“ verbunden, an den noch im 14. Jahrhundert eine kleine Gasse, die „Emesbrockstegge“ (heute Klasrissengasse) erinnerte. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte der „Heesener Hof“ der preußischen Regierung und wurde als Verwaltungsgebäude genutzt, bis er nach der Kriegszerstörung durch das „Overberghaus“ ersetzt wurde.
Auf der südlichen Parzelle stand das ehemalige Hauptgebäude des mittelalterlichen Frauenklosters Ringe. Ursprünglich war das Kloster, dessen Name möglicherweise auf eine Stifterfamilie „Ringe“ zurückgeht, ein Beginenhof, gegründet zwischen 1248 und 1302. Nach der Auflösung des Klosters im Jahr 1811 und einer vorübergehenden Nutzung durch die Dominikaner zog 1828 das Magdalenenhospital dort ein. Das Kloster wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Bei der städtebaulichen Neuordnung des Areals in der Nachkriegszeit entstanden hier ein großzügiger Platz und eine neue Wegeverbindung zur Ludgeristraße, die auch heute noch so bezeichnete Verlängerung der Windhorststraße.
Höfe aus der Frühzeit des Bischofssitzes?
Die historische Forschung ging bislang davon aus, dass sich auf beiden Parzellen bereits in der Karolingerzeit große Bauernhöfe befanden, die der Versorgung des Bischofssitzes und des Domkapitels dienten. Die Existenz solcher Höfe hatte die Forschung auch für andere Stellen im späteren Stadtgebiet angenommen, beispielsweise für das unmittelbar benachbart gelegene Areal des ehemaligen Stubengassenparkplatzes. Die großflächigen Ausgrabungen 1997 bis 1999 sowie 2005 und 2006–2007 haben diese Annahme jedoch widerlegt: Spuren frühmittelalterlicher Höfe wurden nicht entdeckt, die Besiedlung dort begann erst im 12. Jahrhundert. Und so ergab sich auch für die Ausgrabungen an der Windhorststraße 66 die Fragestellung nach den frühmittelalterlichen Hofstellen. Lässt sich rekonstruieren, welche Entwicklung die beiden Grundstücke im Laufe ihrer Geschichte nahmen?
Ein erster Blick auf die Ergebnisse: Ein Gehöft im hohen Mittelalter
Beim derzeitigen Stand der Auswertung können wir die grundlegenden Fragen noch nicht eindeutig beantworten, aber einige Ergebnisse der Ausgrabung vorläufig zusammenfassen: In der nördlichen Ausgrabungsfläche, im Bereich des späteren Hofes Emesbrock, gab es im hohen Mittelalter eine ältere Hofanlage, von der nur ein Graben, vielleicht eine Hausgräfte, erfasst wurde. In seiner Verfüllung fand sich vornehmlich Keramik des 10. bis 12. Jahrhunderts. Einzelne Reste von Siedlungsschichten aus dieser Zeit gab es auch in der Hauptuntersuchungsfläche. Sie waren jedoch so fragmentiert und durch jüngere Bodeneingriffe gestört, dass sich kein erkennbarer Zusammenhang mit dem Graben ergab. Größe und Aussehen der hochmittelalterlichen Hofanlage konnten nicht ermittelt werden, aber es scheint so, dass sich ihre Grenzen nicht in der späteren Parzellenstruktur spiegeln.
Das Areal des Klosters Ringe und seine Besiedlungsgeschichte
Die südliche Ausgrabungsfläche wies noch eine vollständig erhaltene Stratigraphie (Schichtenfolge) auf. Nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse können wir die Geschichte des Platzes nun annähernd rekonstruieren. Eine Kulturschicht, deren jüngstes Fundmaterial in die Zeit um 1200 datiert, überlagerte die ältesten Befunde. Darüber war eine Brandschuttschicht sichtbar, deren Fundmaterial in das 13./14. Jahrhundert datiert werden kann. Hinweise auf die Verarbeitung von Buntmetall wie Kupfer, Messing oder Bronze auf dem Gelände ergaben sich aus Funden von charakteristischen Gusstropfen und den Bruchstücken von Gussformen.
Nach dem Brand eines offenbar in unmittelbarer Nähe gelegenen Gebäudes wurde das Grundstück wohl vorübergehend als Garten genutzt, ehe im 14. Jahrhundert das Hauptgebäude des Klosters Ringe errichtet wurde. Zwei Kellerräume dieses Gebäudes konnten größtenteils erfasst und untersucht werden, ebenso die Grundstücksmauer zum nördlich angrenzenden Hof.
Der Klosterkeller des 14. Jahrhunderts zeichnete sich durch seine Ausstattung mit einer Wandnische für Beleuchtung, Quadermalerei an den Wänden und einem Boden aus schlichten quadratischen Keramikfliesen aus. Wegen der Bodenfeuchtigkeit hatte man schon zur Bauzeit eine Drainage aus wiederverwendeten Dachziegeln (Firstziegeln) im Boden eingebaut. Dennoch blieb der Keller wohl zu feucht, sodass der Boden mehrfach erneuert und erhöht wurde. Schließlich schüttete man den Keller gänzlich zu und vermauerte im 16. Jahrhundert die Kellerfenster.
Weitere Siedlungsreste aus dem 13./ 14. Jahrhundert wie Pfostengruben, Fußbodenreste und eine Feuerstelle ließen zwar Rückschlüsse auf weitere Gebäude an dieser Stelle zu, konnten jedoch nicht zu erkennbaren Strukturen zusammengefügt werden. Zu den Mauern, die während der Ausgrabungen zutage traten, gehörten auch Reste von Gebäuden, die im 19. Jahrhundert an die ehemalige Klosteranlage angebaut wurden.
Reste der Ausstattung von Kloster Ringe
Das reichhaltige Fundmaterial aus dem Klosterkeller kann in begrenztem Maße auch etwas über den Lebensstandard der Schwestern im Kloster Ringe erzählen. Die Gemeinschaft von zwölf Frauen war als Beginenkonvent gegründet worden und gehörte seit 1491 dem Terziarinnenorden an, dem dritten laikalen Zweig des Franziskanerordens. Die Mitglieder stammten vorwiegend aus den Kreisen münsterscher Honoratioren. Sie verteidigten ihre Lebensweise leidenschaftlich und erfolgreich, als ihre Gemeinschaft im 17. Jahrhundert in den Klarissenorden, dem mehr auf Armut, Klausur und Askese ausgerichteten weiblichen Zweig des Bettelordens der Franziskaner, eingegliedert werden sollte.
Im Fundgut befanden sich einige unterschiedlich gestaltete Fragmente von Ofenkacheln aus Kölner Werkstätten, die darauf hinweisen, dass es im 16. Jahrhundert vermutlich mindestens zwei aufwendig gestaltete Kachelöfen im Kloster gegeben haben kann. Zwei Fragmente sollen hier näher betrachtet werden: Das einer grün und blau glasierten Ofenkachel mit einem hockenden Putto im Zwickel kann in das zweite Viertel des 16. Jahrhunderts datiert und einem Kölner Kachelbäcker mit dem Namen „Meister Michel“ zugewiesen werden. Ein weiteres Fragment gehörte zu einer mehrfarbig glasierten Leistenkachel (ein Zwischenstück zur Verbindung zweier größerer Kacheln), auf der eine nackte Frau dargestellt ist. Vergleiche mit ähnlichen Ofenkacheln aus Köln legen die Deutung nahe, dass es sich um eine Allegorie des „Neids“ handelt. Diese Kachel wird in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts datiert und könnte einem anderen Ofen als die erste angehört haben.
Ein herausragendes Fundstück ist auch der Bestandteil eines spätmittelalterlichen Zapfhahns aus Bronze, das sogenannte „Drehküken“. An der fein ausgearbeiteten Tierfigur sind noch Reste der ursprünglichen Vergoldung erkennbar. An einem Zapfhahn für den täglichen Gebrauch ist eine Vergoldung eher schwer vorstellbar; vielleicht gehörte das „Drehküken“ zu einem Weihwasserbehälter im Oratorium (Gebetsraum) des Klosters, das aus den Schriftquellen überliefert ist.
Grapentöpfe und Leuchter für den gehobenen Haushalt
Sicherlich nicht in jedem Haushalt im spätmittelalterlichen Münster waren hochwertige Töpfe und Leuchter aus Bronze oder Messing zu finden. Aber wo man sie kaufen konnte, wissen wir jetzt: Hier, an der späteren Windhorststraße, muss sich über mehrere Generationen hinweg eine Werkstatt befunden haben, in der hochwertiges Hausgerät hergestellt wurde. Über 300 Reste von Gussformen wurden aus dem Schutt geborgen, mit dem im 15. Jahrhundert der Klosterkeller verfüllt worden war. Wir können daher annehmen, dass die Werkstatt in unmittelbarer Nähe gelegen haben muss. Da auch aus den ältesten Schichten des 13./14. Jahrhunderts bereits Bruchstücke von Gussformen geborgen wurden, gehen wir davon aus, dass diese Werkstatt hier über einen längeren Zeitraum arbeitete. Eine Analyse der Bruchstücke ergab, dass dreibeinige Töpfe, sogenannte Grapen, und Kerzenleuchter hergestellt wurden.
Ein Fundstück aus der Römerzeit
Zu den ältesten Funden zählte eine römische Münze, die als ein Streufund zutage kam und nicht zu einer entsprechenden Schicht gehörte. Offenbar wurde sie mit Erdreich aus der näheren Umgebung umgelagert. Es handelt sich um eine Münze des Herrschers Crispus aus der Zeit um 320 n. Chr.. Crispus (geb. um 305, gest. 326) war ein Sohn und ab 317 Mitregent Kaiser Konstantins des Großen. Er kämpfte als Jugendlicher in den Jahren um 320 gegen die Franken und Alamannen, siegte als Heerführer 324 in der Seeschlacht bei den Dardanellen gegen Licinius, den Widersacher seines Vaters und wurde 326 im Zuge einer Familienintrige ermordet.
Literatur
König, Sonja, Krabath, Stefan: Grapengießer in Münster: Handwerk und Gusstechnik. In: Fundgeschichten – Archäologie in Nordrhein-Westfalen, hg. von Thomas Otten, Hansgerd Hellenkemper, Jürgen Kunow und Michael M. Rind. Mainz 2010, S. 271–272
Unger, Ingeborg: Kölner Ofenkacheln. Die Bestände des Museums für Angewandte Kunst und des Kölnischen Stadtmuseums. Mit einem Beitrag von David Gaimster. Köln 1988, hier S. 97ff und S. 246