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Königsstraße 48-58
Die Ausgrabungen an der Königsstraße
Das Quartier am Beginn der Königsstraße um das Picassomuseum, den neuen Kettelerschen Hof und den Picassoplatz ist heute eines der Aushängeschilder Münsters. In den Jahren nach 2006 wurde hier ein städtebauliches Ensemble geschaffen, das sich nahtlos an die Kulturmeile am Domplatz anschließt. Bevor die Bauarbeiten begannen, untersuchte die Stadtarchäologie den Baugrund der Parzellen 48 bis 58 während der Jahre 2005 bis 2007. Ein zentral gelegener Platz nahe der ehemaligen frühmittelalterlichen Domburg, eingebunden in das historische Straßennetz – die gesamte Situation ließ hoffen, hier auf Spuren der frühen Stadtentwicklung zu stoßen.
Die Erwartungen der Archäologinnen und Archäologen wurden weit übertroffen, denn es war tatsächlich möglich, im Buch der Geschichte Münsters bis in das 11. Jahrhundert zurück zu blättern und dabei ein reiches Panorama des Lebens an der Königsstraße in vergangenen Zeiten zu entwerfen.
Gesandtenquartier und Adelshof
Bis zur Kriegszerstörung in den Jahren 1943 und 1944 stand auf der Fläche der Parzellen Königsstraße 51-53 der „Kettelersche Hof“, ein repräsentativer, im klassizistischen Stil in den Jahren von 1783 bis 1789 erbauter Stadthof der adligen Familie von Ketteler zu Harkotten. Das Hauptgebäude stand direkt an der Straße, während sich im rückwärtigen Bereich weitere Nebengbäude, ein großer Hofbereich sowie ein anschließender Garten befanden. Die Gegebenheiten erschienen also günstig, hier noch Bodenbereiche untersuchen zu können, die nicht durch Keller überbaut worden waren.
Sein Vorgängerbau war bis zum Kauf des Anwesens durch die Familie von Ketteler 1782 im Besitz begüterter Bürgerfamilien. Hier logierten in Münsters Vergangenheit prominente Gäste, denn während der Verhandlungen zum Westfälischen Frieden in den Jahren 1644 bis 1648 wohnten hier zuerst der Hauptgesandte des Kaisers, Maximilian Graf von Trautmannsdorff, und ab 1647 der spanische Gesandte Antoine Brun. Zwar erscheint das Gebäude auf dem Plan des Everard Alerdinck aus dem Jahr 1636 wenig spektakulär und nicht sonderlich groß, es muss jedoch den hochrangigen Gästen ein angenehmes und gehobenes Wohnen geboten haben.
Die Königsstraße im Mittelalter
Bei den Ausgrabungen an der Königsstraße konnten tatsächlich größere Bereiche „ungestörten“ Bodens untersucht werden. Es gelang den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtarchäologie, die ältesten Siedlungsschichten in diesem Areal freizulegen und zu identifizieren, so dass ein nahezu beispielhaft klares Bild der frühstädtischen Entwicklung Münsters gewonnen wurde.
Noch zu Beginn des 11. Jahrhunderts beschränkten sich die besiedelten Flächen Münsters im Umfeld der Domburg auf einige hofartige „Siedlungsinseln“. Erst seit der Mitte des Jahrhunderts waren im Umfeld des befestigten Bischofssitzes deutliche Siedlungsausweitungen zu erkennen.
Zwei Hausstätten teilten sich hier zu Beginn des 12. Jahrhunderts das noch recht weitläufige Areal. Die Wasserversorgung der landwirtschaftlich geprägten Anwesen wurde im Süden von einem Holzkastenbrunnen, im Norden möglicherweise von einer unbefestigten Schöpfstelle gewährleistet.
Mit der Erbauung eines „Steinwerks“ auf der Parzelle Königsstraße 56 entstand um die Mitte des 12. Jahrhunderts das bislang früheste nachweisbare Gebäude dieser Art in Münster. Vergleichbare Gebäude mit rückwärtigen steinernen Anbauten sind im spätmittelalterlichen Münster in größerer Zahl nachzuweisen. Anhand der ergrabenen baulichen Relikte und des reichen Fundinventars lässt sich auf eine gehobene soziale Stellung seiner Erbauer schließen. Die Bauherren des Steinwerks, so können wir vermuten, stammten aus dem Kreis der Ministerialen (bischöflichen Verwaltungsbeamten) oder Fernkaufleute. Aus den Schriftquellen ist bekannt, dass es sich seit dem Ende des 14. Jahrhunderts bei den Eigentümern des Grundstücks mit dem Steinwerk um die Familie Rodelewen handelte, die zur Schicht der wohlhabenden münsterschen Patrizier, der sogenannten „Erbmänner“ gehörte.
Herrschaftliche Lebensart
In dieses sozial herausgehobene Umfeld werden auch die Bewohner der lediglich über ihre steinernen Brunnen erschließbaren Hausstätten auf den beiden nördlich anschließenden Parzellen gehören. Von einer der Hausstätten stammen ausgesprochene Luxusprodukte des 13. Jahrhunderts. Die Bruchstücke einer Kanne aus dem nordfranzösischen Rouen sind die bemerkenswertesten keramischen Fundstücke der Grabungen. Außergewöhnlich ist auch der Nachweis von Reisspelzen in der Latrine dieses Anwesens. Im hochmittelalterlichen Münster ist dies bislang singulär, denn der Genuss von Reis war in unserer Region zu dieser Zeit noch wenig verbreitet. Auf (herrschaftliche?) Jagd lassen zudem die Reste eines Rothirsches in der Latrinengrube der nördlichen Hausstätte schließen.
Im direkten Umfeld der mindestens drei hochmittelalterlichen Hausstätten wurden noch bis in das 13. Jahrhundert vielfältige hauswirtschaftliche und handwerkliche Tätigkeiten (Buntmetallschmiede, Schusterei) ausgeübt. Hinweise auf die Schinkenherstellung lieferte das durchlöcherte Schulterblatt eines Schweins aus der hochmittelalterlichen Latrine ganz im Süden der Ausgrabungen. Dass man an der Königsstraße auch Bier braute, ließen die in den hochmittelalterlichen Latrinen erhaltenen Früchte des Gagels sowie Pollenkörner und Früchte vom Hopfen erkennen.
Städtische Enge im späten Mittelalter
Noch bis zum Ende des 14. Jahrhunderts waren kaum Veränderungen dieser Siedlungsstrukturen zu erkennen. Es blieb bei der eher lockeren Parzellenbebauung. Das nach einem Brand in der Mitte des 13. Jahrhunderts wiederhergestellte Steinwerk dominierte mit seinen Nebengebäuden auch weiterhin die Hausstelle an der Königsstraße 52. Auf der nördlich anschließenden Parzelle mit seinen nur sehr schemenhaft nachweisbaren Gebäuden erbaute man ein weiteres Pfostengebäude. Südlich des Steinwerks musste offen bleiben, ob hier überhaupt bereits Wohngebäude standen.
Erst im Laufe des 15. Jahrhunderts verdichtete sich die Bebauung. Die neuen Wohngebäude von vier weiteren Hausstätten entstanden direkt an der Königsstraße. Im hinteren Bereich ihrer jetzt „langschmalen“ Parzellen ließen sich erste „Hinterhof-Gebäude“ lokalisieren. Lediglich über schmale seitliche Zugänge war noch die Nutzung ihrer Hofräume möglich, in denen man einige einfache Fassbrunnen anlegte.
Die Königsstraße in der Neuzeit
Spätestens am Ende des 16. Jahrhunderts waren der westliche Straßenrand der Königsstraße vollständig, meist giebelständig bebaut oder die Parzellen von hohen Mauern mit großen Durchfahrtstoren abgeschlossen. Die Hausstelle mit dem mittelalterlichen Steinwerk wurde um die Mitte des 16. Jahrhunderts grundlegend erneuert. Nach der Mitte des 16. Jahrhunderts entstanden nördlich des Steinwerks mehrere „Doppelhäuser“. Die Nordseite der Krummen Straße sowie die Südseite der Lütken Gasse waren mit kleineren Gebäuden, den „Gademen“, bebaut. In der frühen Neuzeit waren damit mindestens 13 Haushalte auf mindestens 12 Parzellen nachweisbar.
Die sich mit Beginn der Neuzeit deutlich ändernde Nutzung der immer kleineren Grundstücke war auch anhand der Ergebnisse von Archäobotanik und Archäozoologie gut erkennbar. Leinsamen, Kapselfragmente und potentielle Leinunkräuter lassen sich lediglich in Proben des hohen und späten Mittelalters nachweisen. Wurde die Leinfaser-Produktion im Mittelalter also noch auf den innerstädtischen Grundstücken an der Königsstraße betrieben, so verlagerte man sie mit Beginn der Neuzeit in das Umland Münsters.
Bis in die Neuzeit nimmt der Anteil ausgewachsener Rinder, wohl auch durch den immer geringeren Bedarf an landwirtschaftlichen Arbeitstieren, immer weiter ab. Die Höfe des Umlandes lieferten nun das Fleisch und andere landwirtschaftliche Produkte in die Stadt.
Seit der Zeit um 1500 gelangten exotische Gewürze auf den Speisezettel der Haushalte an der Königstraße. Insbesondere aus der Verfüllung eines Fasses auf der Parzelle 58 stammen diese frühen Gewürzimporte (Paradieskorn, Gewürznelken).
Handwerker an der Königsstraße
Die Hinterhöfe nutzte man in der Neuzeit kaum mehr für landwirtschaftliche, sondern für verschiedenste handwerkliche und hauswirtschaftliche Tätigkeiten. Zeitweilig arbeitete an der Königsstraße 58 eine Schmiede, und auf der Parzelle 56 wohnte ein Fleischhauer. In seinem Hinterhof fand sich das vergrabene Teilskelett eines Schweins, das man nicht verzehrte, sondern lediglich verscharrte. Man wusste um die Gefahr, die vom Verzehr verendeter Tiere ausging. Anhand des Rückgangs hochwertiger Fleischpartien der Nutztiere im frühneuzeitlichen Knochenmaterial war zu erkennen, dass die Bewohner der Königstraße meist unter schlechteren Ernährungsbedingungen zu leben hatten, als im vorangehenden Mittelalter. Die steigende Zahl kleiner Hauswiederkäuer und Schweine, die man in den Hinterhöfen hielt, zeugt aber auch von der sich verändernden Wirtschaftsweise an der nordwestlichen Königsstraße. Anhand der Pollenanalysen war zu erkennen, dass sich in der ländlichen Umgebung Münsters seit dem späten Mittelalter in den sich ausdehnenden Heiden eine „Heidewirtschaft“ mit Schaf- und Bienenhaltung entwickelte.
Wandel der Parzellenstruktur
Der Bau des Kettelerschen Hofes veränderte ab 1783 das überkommene Parzellengefüge noch einmal deutlich. Die direkt nördlich und südlich angrenzenden Parzellen wurden dem neuen Adelshof zugeordnet. Nördlich davon wurden zudem Teile der Parzellen um die Mitte des 19. Jahrhunderts der neu geschaffenen Parzelle an der Lütke Gasse zugeschlagen und die Grundstücke damit noch einmal verkleinert.
In der „Gründerzeit“, meist um 1900, ersetzte man die Wohnbebauung an der Königsstraße ab Haus Nummer 54 bis zur Lütke Gasse noch einmal fast vollständig. Insgesamt sieben, teils unterkellerte Neubauten entstanden kurz nacheinander, die dann schon knapp ein halbes Jahrhundert später, im Zweiten Weltkrieg, fast vollständig zerstört wurden.
Text: Mathias Austermann, Claudia Holze-Thier
Literatur
Austermann, Mathias, Jakobi, Holger (im Druck): Die Stadt Münster: Ausgrabungen an der Königsstraße. Denkmalpflege und Forschung in Westfalen 41.3
Kalis, Arie J., Meurers-Balke, Jutta, Zerl, Tanja: Pfeffer, Kapern und Nelken in Münster – dem Pfefferpotthast auf der Spur. In: Archäologie in Westfalen-Lippe 2016, Langenweisbach 2017, 247–249.