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Klosterstraße 90
Die Ausgrabungen auf dem Gelände der „Clemensbögen“ (Klosterstraße 90)
Bevor auf der Parzelle Klosterstraße 90 die Wohnanlage „Clemensbögen“ entstand, konnte die Stadtarchäologie Teile dieses Bereichs in den Jahren 2016 und 2017 untersuchen. Die Ausgrabungen umfassten den Bereich des unbebauten Innenhofs sowie eine nordwestlich davon gelegene Fläche.
Bis zu diesem Zeitpunkt war das Gelände im Besitz der Clemensschwestern, die seit 1903 hier ein Mutterhaus, eine Kapelle und ein Novizenhaus führten. Zwischen 1811 und 1903 wurden die Gebäude militärisch genutzt: Sowohl die französische Armee (bis 1813) als auch die preußische (ab 1814), unterhielten hier ein sogenanntes „Train Depot“ mit Materiallagern und Wagenremisen vorwiegend in den bereits bestehenden Gebäuden.
Von 1451 bis 1811 wurde dieser Bereich von dem Augustinerinnenkloster Marienthal eingenommen, das nach seinem ersten Standort im Haus der Erbmännerfamilie Niesing an der Loerstraße auch als „Kloster Niesing“ bezeichnet wurde. Bis zur Kriegszerstörung in den Jahren 1943 bis 1945 befanden sich, neben der Kapelle, noch weitere Klostergebäude aus dem späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit hier, deren Ruinen nach dem Krieg entfernt und ab 1952 durch Neubauten des Klosters der Clemensschwestern ersetzt wurden. Die älteste überlieferte Eigentümerin des Grundstücks war seit spätestens 1432 bis 1451 die Familie von Merveld.
Das Grundstück vor dem Klosterbau
Bereits seit dem hohen Mittelalter müssen Menschen im näheren Umfeld gelebt haben, denn einige der aufgefundenen Keramikfragmente stammen aus dem 11./12. Jahrhundert. Ihnen konnten jedoch ihnen keine weiteren Befunde zugewiesen werden. Die ältesten nachweisbaren Gebäude in diesem Bereich müssen in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts errichtet worden sein: Holzreste, die möglicherweise zur Innenverschalung eines Kellers gehört hatten, wurden mithilfe der Dendrochronologie in die Zeit nach 1225 (+/- 10 Jahre, frühestes Fälldatum) datiert. Etliche Gruben und eine Kulturschicht mit Fundmaterial des 13./14. Jahrhundert, darunter auch ein Spinnwirtel und eine Knochenperle, zeugten zudem von reger Siedlungstätigkeit.
Ein weiteres Gebäude aus dieser Nutzungsphase erwies sich als Pfostenbau, der sicherlich über einen längeren Zeitraum bewohnt worden war: Mindestens zweimal wurde der Lehmboden im Haus erneuert, ehe es abbrannte. Die Bewohner des Hauses waren wohl Handwerker, denn aus der jüngsten Bodenschicht des Hauses stammt der Fund einer Gussform aus hellem Kalkstein. In ihr konnten kleine Metallringe mit einem äußeren Durchmesser von nur 6 Millimetern hergestellt werden, die beispielsweise als Bestandteile von Ziernieten auf Gürteln verwendet wurden.
Ebenfalls spätmittelalterlich war der Rest einer 74–76 Zentimeter breiten Bruchsteinmauer, die im Innenhof nahe den Mauern des Klostergebäudes aus dem 15. Jahrhundert freigelegt wurde. Möglicherweise war sie das Fundament eines Gebäudes, das vor dem Bau des Klosters abgerissen wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass es sich dabei um den Rest der Merveldschen Hofanlage handelte. Noch einen weiteren Hinweis auf die vorausgegangene Bebauung gab es: Das Klostergebäude des 15. Jahrhunderts stand auf einem bis zu 1,50 Meter hohen Bruchsteinsockel, der aus dem Baumaterial eines älteren Steingebäudes auf diesem Grundstück errichtet worden sein kann.
Das mittelalterliche Klostergebäude
Seit 1451 erfolgte die Bebauung der Parzelle durch das Frauenkloster Marienthal, genannt Niesing. Wie aus dem Vogelschauplan des Everardt Alerdick hervorgeht, bestand die Klosteranlage südlich der Kirche im 17. Jahrhundert aus einem Geviert von Gebäuden, die nicht durch einen Kreuzgang miteinander verbunden waren und keine ursprüngliche Einheit bildeten.
Vor Beginn der Ausgrabung war bekannt, dass der östliche Teil des langgestreckten nordwestlichen Klostergebäudes erfasst werden würde, da er etwa zur Hälfte unter der Fläche des Innenhofs lag; erwartungsgemäß fanden sich dann auch dicht unter der Oberfläche die Mauerreste und Fußbodenschichten davon. Im unteren Bereich bestand es bis in eine Höhe von 1,33m bis 1,50m aus Bruchstein, vielleicht dem Abbruchmaterial eines zum Mervelder Hof gehörenden Hauses. Darüber folgten große Backsteine im sogenannten „Klosterformat“, die in der hier angetroffenen Ausführung in das 14./15. Jahrhundert datiert werden können. Drei Wandnischen waren erkennbar, die zum Einbau von Schränken oder Regalen oder zum Abstellen von Leuchtmitteln wie Kerzen oder Talglichtern genutzt worden sein mögen. Dieser Teil des Klosters stammte noch aus der Gründungsphase in der Mitte des 15. Jahrhunderts und wurde bis zur Kriegszerstörung noch genutzt. Seine südwestliche Fassade ist auf einem Foto aus der Zeit um 1903 zu sehen. Durch die Stadtarchäologie wurde hier einen Teil des Erdgeschosses mit den Spuren zahlreicher Umbauten dokumentiert, die im Lauf der Jahrhunderte durchgeführt worden waren.
Die letzte Nutzungsphase vor der Kriegszerstörung 1943–1945 war durch quadratische Betonfundamente von Stützpfeilern geprägt, die den Raum wohl zu einem Luftschutzkeller tauglich machen sollten – eine Maßnahme, die jedoch angesichts der Wucht der Zerstörung durch zahlreichen Bombentreffer allein am 10. Oktober 1943 nicht entgegenzusetzen hatte. Von einem weiteren Klausurflügel aus dem Jahr 1635, der sich nach Nordosten anschloss, konnte im Verlauf der Ausgrabung der Rest eines Kellers dokumentiert werden.
Das Mühlrad im Brunnen
Dicht an der südlichen Wand des Klostergebäudes legte das Team der Stadtarchäologie einen Brunnen frei, der aus Bruchsteinen aufgemauert war und tief im Erdreich auf einer hölzernen ringförmigen Unterlage ruhte. Nachdem sie die Bruchsteinschichten entfernt hatten, wurde sichtbar, dass es sich bei der hölzernen Unterlage um eine Art Zahnrad handelte, an dessen Rand sich Löcher für die Aufnahme einzelner „Zähne“ befanden. Hier war offensichtlich ein unbrauchbar gewordenes, aussortiertes Werkstück weiterverwendet worden: Bevor es in den Boden gelangte, war es ursprünglich als „Kammrad“, ein Bestandteil des Mühlengetriebes einer Wind- oder Wassermühle, im Gebrauch. Eine dendrochronologische Datierung ergab, dass zu seiner Herstellung Eichenstämme verwendet wurden, die in der Zeit nach 1554/1571 (+/- 10 Jahre, frühestes Fälldatum) gefällt worden waren. Rechnet man die Lagerzeit des geschlagenen Holzes bis zur Weiterverarbeitung hinzu, kann das Rad vielleicht in der Zeit um 1600–1620 angefertigt worden sein. Zum Brunnenbau verwendet wurde es jedoch viel später, denn Keramikfunde aus der Baugrube des Brunnens verweisen in das ausgehende 18. oder beginnende 19. Jahrhundert.
Ein Fund aus dem Klosteralltag
Ein besonderes Fundstück, das während der Ausgrabungen zutage kam, war das etwa 5 Zentimeter lange Endstück eines sogenannten „Breithalters“ aus Buntmetall (auch als „Spannstab“ oder „Spreidter“ bezeichnet). Die Schicht, aus der dieser Fund stammte, kann durch die darin aufgefundene Keramik in das 15./16. Jahrhundert datiert werden. Breithalter gehören als Zubehör zu Handwebstühlen und werden in ähnlicher Form noch heute verwendet. Sie werden auf dem Gewebe zwischen Tuchbaum und Schusseintrag in den Webkanten eingehakt und sollen verhindern, dass das Gewebe während des Webvorgangs zunehmend schmaler wird. Allen Arten von Breithaltern, sowohl den historischen als auch den modernen, ist gemeinsam, dass sie in der Länge verstellbar sind und an die Breite des Stoffstückes angepasst werden können.
Aus der Chronik des Klosters, die während des ersten Jahrhunderts seines Bestehens geführt wurde, geht hervor, dass um 1525 auf elf Webstühlen von den Nonnen gearbeitet wurde – sehr zum Ärger der städtischen Handwerker, die in der Textilproduktion des Niesingklosters eine Konkurrenz sahen. Von einem dieser Webstühle könnte unser Fundstück vielleicht stammen.
Eine weitgereiste Münze
Aus einer neuzeitlichen Schicht der Ausgrabung stammt eine unförmige, recht nachlässig geprägte Silbermünze mit einem Gewicht von etwa 6 Gramm. Auf der Vorderseite ist der Rest eines schildförmigen Wappens erkennbar, das in vier Felder mit verschiedenen, nur schwer erkennbaren Ornamenten aufgeteilt ist. Auf der Rückseite befindet sich ein Rahmen in Form eines Achtpasses, durch einen kreuzförmigen Wulst aufgeteilt in vier Felder. In zwei diagonal zueinander stehenden Feldern (links unten und rechts oben) ist ein sich aufbäumender Löwe zu sehen, im den beiden übrigen Feldern ein Turm mit Zinnen. Am rechten Rand ist der Rest des Buchstabens „S“ erkennbar, gefolgt vom Rest des Längsbalkens eines weiteren Großbuchstabens.
Es handelt sich um eine spanische Münze im Wert von 2 Reales, die während der Regierungszeit des Königs Philipps IV. (1621–1665) in der Zeit von 1636 bis 1646 in Südamerika, vermutlich im bolivianischen Potosi, geprägt wurde. Durch die Ausbeutung südamerikanischer Silbervorkommen durch die spanischen Eroberer wurden seit dem 16. Jahrhundert große Mengen silberner Münzen nach Europa verschifft und gelangten dort in den Umlauf. Die nachlässige Prägung ist damit zu erklären, dass es durch königliche Gesetzgebung verboten war, ungeprägtes Silber zu besitzen oder mit sich zu führen. An den jeweiligen Orten der Silberminen wurden daher Silberbarren in münzenartige Gewichtseinheiten zerkleinert und ohne größere Sorgfalt gestempelt, um sie nach Spanien zu transportieren.
Wie diese Münze in ein münstersches Nonnenkloster gelangte, wird wohl nie zu klären sein. Vielleicht gelangte sie im Gepäck eines spanischen Friedensgesandten in der Zeit zwischen 1644 und 1648 nach Münster und landete als Spende im Kloster.
Literatur
Berger, Daniel (2006): Steingussformen aus dem spätromanischen-frühgotischen Magdeburg. Archäometrische und experimentalarchäologische Untersuchungen zum mittelalterlichen Zinnguss an ausgewählten Fundstücken.
Chronik des Klosters Marienthal, genannt Niesinck, in Münster (für die Jahre 1444 bis 1543). Die Geschichtsquellen des Bisthums Münster, Bd. 2, hrg. v. P. A. Cornelius. Münster 1853, S. 419–441
Kohl, Wilhelm (1968): Schwesternhaus Mariental genannt Niesing zu Münster. In: Kohl, Wilhelm (Bearb.): Germania Sacra NF 3, Das Bistum Münster 1: Die Schwesternhäuser nach der Augustinerregel. Berlin 1968, S. 160–218
Kohl, Wilhelm (1994): Münster – Schwesternhaus Marienthal, genannt Niesing. In: Westfälisches Klosterbuch. Lexikon der vor 1815 errichteten Stifte und Klöster von ihrer Gründung bis zur Aufhebung. Münster 1994, S. 85–88
Lasser, Joseph R., Pittman, William E., Caramia, John A. Jr., Greve, Gail G. (1997): The Coins of Colonial America: World Trade Coins of the Seventeenth and Eighteenth Centuries. Colonial Williamsburg 1997
Schwarz, Wilhelm Eberhard (1914): Studien zur Geschichte des Klosters der Augustinerinnen Marienthal gen. Niesing zu Münster. In: Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Alterthumskunde Münster 72, 1914/I, S. 46–151
Windler, Renata (2008): Mittelalterliche Webstühle und Weberwerkstätten. In: Archäologie und mittelalterliches Handwerk – eine Standortbestimmung. Hrsg. von Walter Melzer. Soester Beiträge zur Archäologie Bd. 9, 2008, S. 201–215